Der Traum von der Frühpensionierung
- Manfred Kunz
- 26. März 2020
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Mai 2021
Viele Arbeitnehmer würden gerne vorzeitig in den Ruhestand treten, doch die Realität geht eher in Richtung länger arbeiten
Schweizerinnen und Schweizer haben eine hohe Lebenserwartung und auch hohe Erwartungen an diesen dritten Lebensabschnitt. Viele möchten diese Phase individuell angehen, etwa mit einer Pensumsreduktion, einer Teilzeitbeschäftigung oder einer Frühpensionierung. Doch bevor man diesen Schritt wagt, gilt es einiges abzuklären. So kann es unter anderem zu deutlichen Einbussen bei der Pensionskasse kommen. Die Rente für den Rest des Lebens fällt tiefer aus als bei einer Pensionierung zum regulären Zeitpunkt. Es wird weniger Kapital angespart, und die Auszahlungen werden mit einem tieferen Umwandlungssatz berechnet. Angesichts der steigenden Lebenserwartung darf man das nicht unterschätzen. Deshalb ist die finanzielle Situation genau zu prüfen. So bleibt man etwa auch als Frühpensionierter AHV-pflichtig. Hilfreich ist eine Absprache mit dem Arbeitgeber (diesem kommt vielleicht die Frühpensionierung gelegen), oder man plant eine Pensionierung in Schritten (Reduzierung des Pensums).
Vorbezug von Rente und AHV
Die AHV-Rente kann man schon ein oder zwei Jahre vor dem regulären Rentenalter beziehen, und die meisten Pensionskassen (PK) lassen einen Bezug der Altersleistungen ab 58 oder 60 Jahren zu. Pensionskassen kürzen die Renten von Frühpensionären in der Regel lebenslang um 5% bis 7% pro Vorbezugsjahr. Wer mit 63 statt 65 in Rente geht, verzichtet demnach auf 10% bis 14%. Ein Vorbezug der AHV-Rente um zwei Jahre führt zu einer Rentenkürzung von 13,6%. Viele Pensionskassen bieten Frühpensionierten eine Überbrückungsrente an, mit der sie einen Vorbezug der AHV-Rente umgehen können.
«Ein AHV-Vorbezug ist nur in einer Situation sinnvoll: Wenn der Arzt einem sagt, dass man nur noch wenige Jahre zu leben hat», sagt Reto Spring, Präsident des Finanzplaner-Verbandes und Partner bei Academix Consult. Sonst sei es fahrlässig, die einzige lebenslang inflationsgeschützte Rente zu reduzieren.
Wer früher in Pension geht, muss die Einkommenslücke zwischen der Frühpensionierung und der ordentlichen Pensionierung überbrücken. Am besten eignen sich dazu private Ersparnisse wie etwa Guthaben in der Säule 3a, die man grundsätzlich bis zu fünf Jahre vor Erreichen des AHV-Alters beziehen kann. Zahlreiche PK offerieren den Versicherten, eine Leistungskürzung bei einer Frühpensionierung mit freiwilligen Einkäufen auszugleichen. Arbeitnehmer, die sich bereits für die vollen ordentlichen Leistungen eingekauft haben, können noch zusätzliche Einkäufe tätigen. Die zusätzlichen Altersleistungen dürfen jene bei einer ordentlichen Pensionierung allerdings höchstens um 5% übersteigen. Mit dem Aufschub einer Pensionierung nimmt nicht nur das Altersguthaben zu, auch der Umwandlungssatz fällt höher aus.
Zwei gravierende Fehler
Eine Frühpensionierung kostet gemäss Spring massiv Geld. «Viele unserer Kunden interessieren sich für eine Frühpensionierung, einige sehen aber wieder davon ab, nachdem wir es genau durchgerechnet haben», sagt Damian Gliott von der Vermögenspartner AG. Die restliche Lebenserwartung liegt in der Schweiz mittlerweile für 65-jährige Frauen bei 22,7 und für 65-jährige Männer bei 19,9 Jahren (Stand 2018). Deshalb muss man seine Ruhestandsplanung also auf ein hohes Alter ausrichten.
«Bei der finanziellen Planung des Ruhestandes werden zwei gravierende Fehler gemacht: Die eigene Sparfähigkeit wird überschätzt und der Kapitalbedarf nach der Pensionierung unterschätzt », sagt Spring. Es ist eine gute Idee, sich im Alter von 50 Jahren Gedanken über die Vorsorgeplanung zu machen – auch wenn man eine mögliche Frühpensionierung ins Auge fasst. Wer es aber bis zu diesem Zeitpunkt nicht schafft, monatlich einen relevanten Betrag auf die Seite zu bringen, wird es auch nachher nicht schaffen, sagt Spring. Zwar ziehen vielleicht die Kinder aus, dafür entdeckt man neue Hobbys, beginnt mit dem Golfspiel oder kauft sich eine Harley-Davidson.Viele machen zudem den Fehler, dass sie mit zu hohen Umwandlungssätzen rechnen, nämlich jenen, die auf dem PK-Ausweis angegeben werden. Für Babyboomer werden diese gemäss Spring aber 20% tiefer sein als für ihre Eltern.
Der jüngste Rückschlag an der Börse hat auf die Vorsorgeplanung wenig Einfluss – allenfalls einen psychologischen, führt Gliott an. «Solche Rückschläge gibt es an den Aktienmärkten alle 10 bis 15 Jahre.» Wer mit 50 Jahren die Vorsorgeplanung an die Hand nimmt, kann noch mit gutem Gewissen für 12 Jahre in Aktien investieren. Das entspricht etwa einem Zyklus an der Börse.
In der Vorsorgeplanung müssen alle künftigen Einkommen berücksichtigt werden, solche aus gesicherten und ungesicherten Vermögen, Versicherungsleistungen, AHV, allfällige Mieteinahmen, Erbvorbezüge usw. Eine Erbschaft sollte jedoch nicht zu stark in die Vorsorgeplanung integriert werden, mittlerweile gehen 70% der Erbschaften in der Schweiz an Pensionäre. Zu welchem Zeitpunkt diese erfolgen, ist schwer abzuschätzen. «Wichtig für die Reduktion des Risikos ist der Bezug des Ruhestandseinkommens aus möglichst verschiedenen Quellen», sagt Gliott.
Gutverdienende im Dilemma
Mittlerweile wählt jeder dritte Schweizer Bürger eine Mischform aus Rente und Kapitalbezug. Mit der Rente wird insbesondere das Langlebigkeitsrisiko gedeckt. Dabei muss man gemäss Spring etwa beachten, dass man das Kapital erst drei Jahre nach der letzten Einzahlung beziehen könne. Also dürfe man ab Alter 59 keine Einkäufe mehr vornehmen, wenn man mit 63 das Kapital beziehen wolle. Wer sich wegen hoher Ersparnisse oder einer Erbschaft sehr früh pensionieren lassen kann, muss sich das gut überlegen. So werden etwa 24 800 Fr. an AHV p. a. fällig, und die Steuern sind nur unwesentlich tiefer als zuvor.
Vor allem Gutverdienende bekunden gemäss Spring Mühe damit, genug zu sparen, um den Lebensstandard halten zu können. Die AHV-Rente ist gedeckelt. Bei diesen Personen steckt der Grossteil des PK-Guthabens im überobligatorischen Teil, der kaum mehr verzinst wird. Für Angestellte bringt die maximale 3a-Einzahlung nicht das benötigte Sparguthaben. «Mit einem jährlichen Einkommen von 150 000 Fr. müsste man jedes Jahr zirka 40 000 Fr. auf die Seite legen, um den gewohnten Standard später zu halten», sagt Spring.
Viel mehr als Frühpensionierungen sei bei seinen Kunden die Berufstätigkeit über die Pensionierung hinaus ein Thema, sagt Spring. Gliott beobachtet, dass sich öfters Arbeitnehmende pensionieren lassen, um dann selbständig, zum Beispiel als Berater, aktiv zu werden.
Über die Pension hinaus
Etwa gleich viele Arbeitstätige beziehen die AHV früher oder schieben deren Bezug auf – in beiden Fällen sind es jeweils 18%. Die Lebenserwartung ist gestiegen, viele aktive Personen wollen länger arbeiten und die Rente aufschieben. Auch Unternehmen wollen qualifizierte Mitarbeiter halten, die ein grosses Netzwerk aufweisen und Systeme verwenden können, die Junge nicht mehr kennen. Wenn ein Mensch im Schnitt mit 25 Jahren die Erwerbstätigkeit aufnimmt und nach der Pensionierung nochmals so lange lebt, ist er während mehr als der Hälfte seines Lebens unproduktiv. Darauf ist unser Vorsorgesystem gemäss Spring jedoch nicht ausgelegt.
Sinnvoller, weniger kostspielig und für den Arbeitgeber einfacher zu «verkraften » ist eine schrittweise Reduktion des Arbeitspensums. Auf dem Teilzeiteinkommen sind weiter AHV-Beiträge fällig. Die Beitragspflicht ist damit oft bereits erfüllt, und es fallen keine zusätzlichen AHV-Beiträge an wie bei einer vollständigen Frühpensionierung. Eine gestaffelte Pensionierung kann sich auch steuerlich lohnen, wenn man das Pensionskassenguthaben in Kapitalform bezieht. Bei mehreren Teilbezügen fallen wegen der Steuerprogression insgesamt weniger Steuern an als bei einem einmaligen Bezug des gesamten Kapitals.
Weitere interessante Artikel:
Comments